Warum verlassen so viele Pflegekräfte das System? Eine Innenansicht nach 25 Jahren als DGKP

07.08.2025
Ich habe es selbst erlebt: Viele verlassen das System nicht aktiv – sie flüchten in Krankenstände, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, sich selbst zu retten. Sie haben Angst vor Kündigung, vor finanzieller Unsicherheit oder davor, als schwach zu gelten.

In den letzten Jahren hat sich im österreichischen Gesundheitswesen eine stille Krise entfaltet – eine, die nicht durch Schlagzeilen sichtbar wird, sondern sich in den Körpern, Gedanken und Herzen jener Menschen niederschlägt, die eigentlich da sind, um zu helfen: Pflegekräfte.

Die Fakten sind alarmierend

Laut aktuellen Daten fehlen in Österreich derzeit über 7.800 Pflegepersonen. Bis 2030 werden mehr als 76.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt, um die Versorgung der alternden Bevölkerung sicherzustellen. Gleichzeitig zeigt eine Umfrage: Fast jede zweite Pflegekraft im Akutbereich denkt regelmäßig daran, den Beruf zu verlassen.

Diese Zahlen sind nicht nur abstrakt – sie spiegeln eine Realität wider, die ich selbst über viele Jahre beobachtet und erlebt habe.

STUDIE: Pflegepersonal‑Bedarfsprognose für Österreich

Rappold & Juraszovich, 2019

Burnout als neue Normalität

Viele Kolleginnen und Kollegen leben seit Jahren in einem Zustand ständiger Überlastung. Schichtdienste, volle Verantwortung für Menschenleben, zu wenig Personal, kaum Pausen und ein hoher emotionaler Druck gehören zum Alltag. Was früher als Ausnahme galt, ist heute zur Norm geworden.

Ich habe es selbst erlebt: Viele verlassen das System nicht aktiv – sie flüchten in Krankenstände, weil sie keine andere Möglichkeit sehen, sich selbst zu retten. Sie haben Angst vor Kündigung, vor finanzieller Unsicherheit oder davor, als schwach zu gelten.

Meine Beobachtung nach 25 Jahren als diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin (DGKP):
Menschen in der Pflege brechen nicht zusammen, weil sie unfähig sind –
sondern weil sie zu lange zu stark waren. Und niemand schaut hin.

STUDIE: 1. Burnout symptoms in Austrian student nurses in their third year of training and registered nurses

Hausmann, 2009


Mehr Gehalt als Lösung? Nicht allein.

Es ist ein weitverbreiteter Irrtum zu glauben, dass eine Gehaltserhöhung allein das Problem lösen könnte. Natürlich braucht es faire Bezahlung – keine Frage. Aber was bringt ein höheres Einkommen, wenn dafür dieselbe unhaltbare Leistung weiterhin eingefordert wird?

Diese Leistung ist nicht tragbar.
Nicht auf Dauer. Nicht ohne psychischen und physischen Preis.
Egal, wie viel wir verdienen – wenn wir daran zerbrechen, ist der Preis zu hoch.

Wert, der unsichtbar bleibt

Was oft übersehen wird: Die eigentliche Arbeit in der Pflege beginnt nicht erst beim Anlegen eines Verbandes oder beim Setzen einer Infusion.

Menschen vergessen, dass auch das – da zu sein, zuzuhören, Nähe zu geben – bezahlt werden muss.

Nicht nur messbare Tätigkeiten sind wertvoll.
Pflege ist Beziehung. Präsenz ist Arbeit. Emotionale Last ist Arbeit.
Und genau das wird im aktuellen System häufig nicht anerkannt.

Was es wirklich braucht

Die Herausforderungen im Pflegebereich sind komplex, aber es gibt klare Ansätze, die Veränderung möglich machen:

  • Mehr Personal, damit echte Pausen und Menschlichkeit wieder Platz finden

  • Bessere Rahmenbedingungen, nicht nur monetäre Anreize

  • Psychologische Sicherheit und Supervision als Standard

  • Gesellschaftliche Anerkennung für das Unsichtbare: für Geduld, Zuwendung, Menschlichkeit

Ein Appell aus dem Inneren des Systems

Wenn du jemanden kennst, der in der Pflege arbeitet – frag heute ehrlich:
"Wie geht es dir – wirklich?"
Sag: "Danke, dass du noch da bist."

Und vielleicht teilst du diesen Text – damit mehr Menschen verstehen,
dass die Pflege nicht nur systemrelevant ist, sondern auch schutzbedürftig.
Und dass sie nicht stillschweigend untergehen darf.

Autorin:
Elena Petrus, DGKP, psychosoziale Beratung
25 Jahre Erfahrung im Gesundheitswesen – heute Stimme für Veränderung


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